Zur Geschichte der Nutzpflanzen in Nordostdeutschland
Eine Übersicht auf sechs Terrassenbeeten
Zur Entwicklung von Nutzpflanzen
Durch den Menschen genutzte Pflanzenarten müssen zunächst in der Stammesgeschichte natürlich entstanden sein, worauf sie durch den Menschen genutzt oder sogar vermehrt und angebaut wurden. Bei dieser Inkulturnahme wurde schon durch Kleinbauern eine Auswahl (Selektion) besonders geeigneter individueller Pflanzen vorgenommen, die weiteren Anbau verlässlicher und Ernten ergiebger werden ließen. Die Ausprägung der Pflanzenmerkmale und die ihr zugrunde liegende genetische Beschaffenheit wurden damit über lange Zeiträume künstlich verändert, wobei der Entwicklung klare Richtungen vorgegeben wurden durch das Verfolgen züchterischer Ziele.
Die Mechanismen dieser züchterischen Entwicklung sind mit den in der natürlichen Evolution wirksamen identisch, nur liefert die künstliche Selektion andere Ergebnisse als die natürliche, die am größten Fortpflanzungserfolg unter natürlichen Lebensbedingungen ausgerichtet ist. Damit sind traditionell züchterisch entstandene Merkmalsausprägungen auch Ausdruck der im natürlichen Genom einer Pflanzenart bereits enthaltenen Variabilität, die sich auch unter natürlichen Bedingungen ggf. manifestieren könnte. Meist ist dies jedoch unwahrscheinlich, weil diese Varianten das Überleben der Art unter rein natürlichen Bedingungen häufig erschweren.
Das traditionelle züchterische Prinzip, das weltweit über Jahrtausende verfolgt wurde, ist erst in jüngster Zeit durch die Möglichkeit ergänzt worden, das Genom von Pflanzen direkt im einzelnen Organismus gentechnisch zu manipulieren und damit transgene Pflanzen zu erzeugen. Hier ist die resultierende genetische Ausstattung nicht mehr prinzipieller Teil der natürlich vorhandenen Variabilität, sondern artifiziell. Entsprechend neuartig können Merkmalsausprägungen dieser natürlicherweise nicht entstandenen Genkombinationen sein.
Infolge der genetischen Nähe zu ihren wilden Ursprungsformen können sich Zuchtformen mit ersteren rückkreuzen und Mischformen erzeugen. Nach Jahrtausende langer Kultur ist es in manchen Fällen so zum Rückgang oder gar weltweiten Verschwinden der genetisch unbeeinflussten Wildform gekommen. Dadurch können Wildformen manchmal nicht mehr präsentiert und ihre ursprünglichen Verbreitungsgebiete und Wege der Inkulturnahme nicht mehr ermittelt werden (z. B. beim Echten Spinat (Spinacia oleracea), Portulak (Portulaca oleracea), dem Koriander (Coriandrum sativum), Liebstöckel (Levisticum officinale), Kultur-Reis (Oryza sativa) und der Garten-Ringelblume (Calendula officinalis).
Historische Nutzung ausgewählter Arten
Lein (Linum usitatissimum): Fasern, Öl, medizinal
Schlaf-Mohn (Papaver somniferum): Öl, medizinal
Leindotter (Camelina sativa): Speiseöl, Leuchtöl, Viehfutter, Besenreisig
Hanf (Cannabis sativa): Speiseöl
Rübsen (Brassica rapa): Speiseöl, Gemüse
Buchweizen (Fagopyrum esculentum): Getreide
Rispenhirse (Panicum miliaceum): Getreide
Kolbenhirse (Setarica italica): Getreide
Weg-Rauke (Sysimbrium officinale): Gewürz, Salat
Hopfen (Humulus lupulus): Gewürz
Gagelstrauch (Myrica gale): Bier-, Likörgewürz, Gerben, Deodorant, gelber Farbstoff
Wacholder (Juniperus communis): Gewürz
Portulak (Portulaca oleracea): Gemüse
Nutzpflanzen in Nordostdeutschland
Im Bereich des heutigen Nordostdeutschlands waren erstmaliges Eintreffen von Nutzpflanzenarten und Perioden ihrer Verbreitung bislang nicht zusammenfassend dokumentiert und analysiert worden. Einen ersten Einblick ermöglicht eine umfangreiche Studienarbeit von Wiebke Maria Jahn am Botanischen Garten Rostock.
Danach sind Pflanzenarten, deren Nutzung sich für Nordostdeutschland belegen lässt, überwiegend in Etappen der Besiedlung durch verschiedene Völker in das Gebiet gekommen, oft von Norden auf dem Seeweg. Je nach vorherrschender Ethnie und demografischer Entwicklung sind nicht alle einmal eingeführten Arten geblieben, manche verschwanden in der Folge wieder (z. B. der ehemals weit verbreitete Leindotter, Camelina sativa).
Entsprechend sind die sechs Beetreihen nach den Epochen der Menschheitsgeschichte gegliedert, in denen die Pflanzenarten erstmals in nennenswertem Umfang in Erscheinung traten. Die Zahl der dort gezeigten Arten spiegelt den heutigen Datenstand proportional wider, dem zufolge insbesondere aus der Jungsteinzeit, der Vorrömischen Eisenzeit und Römischen Kaiserzeit kaum Zugänge von Nutzarten belegt sind.
Da die Epochen aufgrund unterschiedlicher ethnischer, demografischer und technologischer Entwicklung in unterschiedlichen Regionen zeitlich verschoben stattfanden, werden die Zeiten für die nordostdeutsche Region angegeben.
Jungsteinzeit 4100–1800 v. Chr.
Bronzezeit 1800–600 v. Chr.
Vorrömische Eisenzeit und Römische Kaiserzeit 600 v. Chr.– 550 n. Chr.
550–650 n. Chr. Gebiet entvölkert (Völkerwanderungszeit)
Slawenzeit 650–1100 n. Chr.
Mittelalter 1100–1500 n. Chr.
Neuzeit seit 1500 n. Chr.
Ein Beetabschnitt befasst sich mit den traditionell genutzten Elternarten des heute so verbreitet angebauten Rapses (Brassica napus): dem Rübsen (Brassica rapa) und dem Gemüsekohl (Brassica oleracea), die beide in zahlreichen alten Varietäten existieren.
Der Abschnitt „Zukunft“ gruppiert eine Auswahl von Pflanzenarten, die derzeit Gegenstand verstärkter Forschungs- und Züchtungsaktivitäten sind aufgrund ihres Potenzials, in naher Zukunft zu wichtigen Nahrungs-, Energie- oder Rohstoffpflanzen werden zu können.